Klimawandel gefähdet Wolfsburger Stadtwald - BUND und NABU fordern "Lübecker Waldmodell"

Welche Bewirtschaftung des Wolfsburger Stadtwaldes trägt dazu bei, dass er den kommenden Herausforderungen des Klimawandels trotzt und dazu beiträgt, das Artensterben einzudämmen? 

Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, lud die Stadt Wolfsburg im März 2032 auf Initiative des BUND hin Herrn Dr. Lutz Fähser, Leitender Forstdirektor im Ruhestand aus Lübeck, als Vortragenden im Ausschuss für Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein.  

 

Dr. Fähser war maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung des sogenannten "Lübecker Modells" beteiligt. Das "Lübecker Modell" ist ein Waldbaumodell und steht für eine naturnahe Waldbewirtschaftung. Aufgrund seiner gleichzeitig ökologischen und ökonomischen Erfolgsgeschichte wurde es zur Basis des "Naturland"-Zertifikates.

Der Lübecker Stadtwald erfreut die Lübecker mittlerweile als einer der auch im Klimawandel stabilsten und artenreichsten Stadtwälder mit Erholungsfaktor in Deutschland. Mehrere Städte haben sich auf den Weg des "Lübecker Modells" begeben und sichern so die Zukunft ihres Stadtwaldes für die Bürger.

 

Ein wesentlicher Ansatz des „Lübecker Modells" ist es, dass sich der Wald natürlich und damit dichter entwickeln kann, also in einer Übergangszeit möglichst keine oder nur wenige Holzentnahmen verzeichnet. Die Verdunstung des Wassers von Pflanzenoberflächen und ein geschlossener Baumkronenraum halten das Wasser in kleinen Kreisläufen, binden Sonnenenergie und kühlen den Wald und seine Umgebung. So kann der Wald den Folgen des Klimawandels wie Hitze und Dürre deutlich besser standhalten.

 

Vergleicht man dies mit dem Wolfsburger Stadtwald, stellt man fest, dass hier - trotz insgesamt ansehnlicher Eichenbestände - zahlreiche Stellen im Stadtwald stark aufgelichtet sind (im Kronenraum der stärksten Bäume). Mit rund 350m³ bietet der Wald nur etwa die Hälfte an Holzvorrat, die ein stabiler Naturwald aufweist (700m³/ha). Damit ist der Wolfsburger Stadtwald auch deutlich weniger vital und den Anforderungen der Zukunft nicht ausreichend gewesen.

 

Als Empfehlung für einen Neustart in eine vitale und somit zukunftssichere Entwicklung des Wolfsburger Stadtwaldes wird von Herrn Fähser empfohlen, anstelle von Neupflanzungen auf entstandenen Freiflächen diese Flächen mindestens zehn Jahre lang nicht anzufassen. In den allermeisten Fällen verjüngt sich der Wald mit ausreichend vielen Baumarten von selbst. Diese Naturverjüngung speichert zudem vom ersten Tag an Kohlenstoff, während die menschengemachten Anlage von Kulturflächen in den ersten 10 bis 20 Jahren beispielsweise aufgrund von Freiflächen und Bodenbearbeitung, Kohlendioxid ausstößt.

 

Das „Lübecker Modell" verzichtet zudem auf eine kostenintensive sogenannte Jungbestandspflege, bei der die Forstwirtschaft immer wieder eingreift. In Lübeck wachsen die Bäume in den ersten 40 Jahren ohne Eingriffe des Menschen. So entwickeln sich die Wälder vielgestaltig und es setzen sich die vitalsten Bäume durch, die den Folgen des Klimawandels am besten trotzen.

 

Die Holzernte ist auch nach dem „Lübecker Modell" kein Tabu. Schließlich handelt es sich beim Holz um einen begehrten und nachhaltigen Rohstoff. Allerdings erntet man dort wesentlich später. Es wird fast nur wertvolles Starkholz geerntet. Um dabei den hoch sensiblen Waldboden nicht auf Jahrtausende zu verdichten, wird auf den Einsatz tonnenschwerer Harvester vollständig verzichtet und die Stämme werden mit einem Seil aus dem Wald gezogen. Die für die Holzernte erforderlichen sog. Rückegassen, also die Wege, auf denen Fahrzeuge in den Wald fahren, haben im Lübecker Wald überwiegend einen Abstand von 80 Metern. Zum Vergleich: In Wolfsburg wird der empfindliche Waldboden ca. alle 20 Meter durch Rückegassen verdichtet. Dies entspricht einer Bodenverdichtung von ca. 20% der gesamten Waldfläche.

 

Im Lübecker Stadtwald gibt es keine großflächigen Maßnahmen bei Schadereignissen, wie sie zum Beispiel bei einem Borkenkäferbefall oft ergriffen werden. Schadholz verbleibt im Wald, es schützt den Boden vor Austrocknung und fügt ihm wertvollen Humus zu. Zu einer überproportionalen Ausbreitung von Schädlingen kommt es dennoch nicht, da die Artenvielfalt und Vitalität des naturnah bewirtschafteten Waldes ausreichend Abwehrkräfte bieten. 

 

An dieser Stelle kommen wieder einmal Zweifel auf, ob die Fällung und Entnahme von rund 500 Eichen im Wolfsburger Stadtwald in den vergangenen Monaten sinnvoll war. Neben der Tatsache der zusätzlichen Auflichtung und der damit im Sommer schlechteren Kühlung wurde ggf. eine große Chance vertan, den Start für eine eigenständige Anpassung des Wolfsburger Stadtwalds an die Folgen des Klimawandels zu vollziehen.

 

Im Lübecker Stadtwald wird keine gezielte Eichenpflege betrieben. Dennoch hält sich auch dort ein über dem Landesschnitt liegender hoher Eichenanteil von 20% von ganz allein. Dieser Anteil kann in Zeiten von mehr Sonneneinstrahlung sogar ansteigen, da die Eiche eine sogenannte Lichtbaumart mit Hitzetoleranz ist. Deshalb könnte in Wolfsburg zukünftig auch auf die sehr teuren Eichenkulturen auf Kahlschlägen (25.000 - 40.000 Euro/ha) verzichtet werden. Der Zinseffekt dieser hohen Anfangsinvestitionen und nachfolgender Pflegekosten macht einen derartigen Waldbau auf Dauer unwirtschaftlich. Ökologisch sinnvoller und wirtschaftlicher ist die Handpflanzung auf kleinen Flächen (sog. Löchern) von 0,1 - 0,3 ha, geschützt vor Wildverbiss mit einem leichten, mehrfach verwendbaren Wanderzaun.

 

Das „Lübecker Modell" erweitert den Lebensraum des Mittelspechts als wertbestimmende Vogelart im Vogelschutzgebiet 48 (Wolfsburg) durch konsequente Erhöhung des Lebensalters der standortheimischen Laubbäume auf über 160 Jahre und in den nutzungsfreien Flächen bis zum natürlichen Zerfall.

 

In Wolfsburg steht die Planung für den sogenannten Forsteinrichtungsplan an: Im Jahr 2026 soll die Bewirtschaftung des Stadtwalds für die kommenden 10 Jahre verbindlich festgeschrieben werden. Besitzer des Stadtwaldes ist die Stadt Wolfsburg. Der BUND und der NABU aus Wolfsburg fordern die Stadt Wolfsburg daher auf, den Stadtwald gemäß dem „Lübecker Modell" zu bewirtschaften. Dadurch könnte er das für die Holzvermarktung begehrte "Naturland" - oder FSC - Zertifikat erhalten. Damit würde die Stadt beste Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Wolfsburger Stadtwald auch kommenden Generationen als wertvoller Erholungswald inmitten des Klimastresses erhalten bleibt.

 

BUND Wolfsburg

 

Katrin Müller-Riemenschneider (Assessorin des Forstdienstes)